Nadine Primo

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Abhängigkeit: Sucht nach (Ver-)Bindung.

Sucht. Ein spannendes Thema - nicht bloß in diesem Zusammenhang. Gerade zuletzt kreisten meine Gedanken immer wieder um diese Thematik. Wahrscheinlich unter anderem deswegen, weil ich selbst während des Lockdowns angefangen habe, mehr THC zu konsumieren. Runterrauchen, die überschüssige Energie wegrauchen und gerade an den kalten Tagen entspannt umgeben von grünem Samt die Seele baumeln lassen.

Zugegeben, besser als Alkohol ist es allemal. Dennoch wird es zum Problem, wenn das beinah jeden Abend geschieht. Egal ob Joint oder Wein... letztlich spielt der Stoff dann zwar eine, dennoch keine tragende, Rolle (mehr). Es geht um den Effekt, den Mensch in diesem Moment zu brauchen scheint: berauscht sein, um runterzukommen und abzuschalten, denn Einschlafen und Entspannen scheint in manchen Momenten einfach unmöglich zu sein.  

Wann genau beginnt eigentlich Sucht? Was ist Suchtverhalten? Außerdem: Sucht nach was eigentlich? Was haben alle Süchte am Ende gemeinsam? Recht einfach runtergebrochen: Stoff & Rausch schaffen in den meisten Fällen ein Verbundenheitsgefühl: mit unseren Mitmenschen, mit uns selbst, mit unserem Planeten. Verbundenheit, ein Gefühl, welches Menschen, die zu illegalen Substanzen, besser gesagt: Drogen, greifen oftmals fehlt. Einsamkeit macht eigen - manchmal eben auch süchtig. Allerdings die problembeladene Variante. Das Gegenteil von unabhängig: abhängig.

Zugegeben, seit Corona ist die ein oder andere Nacht wirklich entspannter, wenn man sich einer kleinen Abschalt-/Einschlafhilfe bedient. Manch eine/r von euch kennt es vielleicht (zu gut). Gefährlich wird es, wenn es ohne nicht mehr geht. Eine Sucht entsteht. Legal oder illegal – egal!  Egal nach welchem Stoff: Entzug tut weh – der eine mehr, der andere weniger. Interessanterweise sind Alkohol und Opiate hierbei die gefährlichsten Stoffe. Ihr Entzug ist mit Abstand der Härteste und kann sogar mit dem Tod enden. Und dabei kriegen wir die Sachen in jedem Lebensmittel-/ Getränkemarkt und in jeder Apotheke. Aber das nur nebenbei. Manches einfach so, anderes gegen Rezept - stimmt schon.

Ein kleiner „Funfact“, der diejenigen in die Schranken weist, die mit dem Finger auf „Junkies“ zeigen, während sie krampfhaft an ihrer E-Zigarette ziehen und bereits den dritten Kaffee in der Hand haben, weil sie ohne „einfach nicht wirklich wach werden und funktionieren“. Joah, kenn ich das Gefühl. Manchmal funktioniert Mensch eben besser, objektiv oder subjektiv sei jetzt mal dahingestellt, wenn er/sie nachhilft. Auch Sport, Sex, Masturbation oder Putzneurosen können krankhaft sein. Alles was uns daran hindert, unseren Alltag zu überstehen, wenn die Substanz/der Mechanismus/die (Überlebens-)Strategie nicht erreichbar oder ausführbar ist.  

Gerade in meiner reflektierten, achtsamen Bubble, die sich gern über alternative Beziehungskonzepte und Lebensmodelle austauschen, Nachhaltigkeit und Natürlichkeit predigen, fällt mir immer wieder auf, dass die „freiesten Menschen“ gleichzeitig auch oftmals die experimentierfreudigsten Konsument*innen sind. Ob psychedelisch, pflanzlich oder chemisch sei mal dahingestellt. Aber eigentlich bedeutet Freiheit und Unabhängigkeit. In dem Fall: Bewusstsein erweitern, Verbotenes konsumieren, sich unabsichtlich durch Mischkonsum in Gefahr bringen. Grenzen testen, erweitern, kurzzeitig ausreizen.

Bewusster Konsum ist in manchen Momenten eine Illusion. Die üblen Streckstoffe, die Drogen enthalten und die schrecklichen Machenschaften, die dahinterstecken, will ich hier gar nicht weiter beleuchten. Die sind den meisten von uns mehr als bewusst. So lange etwas illegal hergestellt, vertrieben und konsumiert wird, kann es einfach nicht wirklich „gut“ sein. Aber wie gesagt: es gibt auch genug Drogen auf Rezept, die wir frisch aus dem Labor, getestet und kontrolliert, in der nächsten Apotheke erhalten.

Spannend ist also eher die Frage: Wieso entwickeln wir Süchte? Was sagt das über uns aus, dass wir aktuell wieder einen Anstieg von Depressionen und Suchterkrankungen zu verzeichnen haben? Depressionen und Suchterkrankungen sind ein bekanntes Duo, denn mal davon abgesehen, dass in manchen Fällen, eine Medikation zur Behandlung eingesetzt wird und somit eine neue Sucht entsteht, greifen viele Betroffene auch aus Verzweiflung und um „Durchzuhalten“ zu sinneserweiternden oder -betäubenden Substanzen.

Ein weiterer Fun Fact: In den Niederlanden bedeutet „süchtig“ übersetzt übrigens so viel wir „versklavt“. Irgendwie passend(er). Süchtig nach (Ver-)Bindung oder aber „Sklave der eigenen Dämonen“ (aka Gedanken/Hilfslosigkeit). Wer schon mal eine Doku über Abhängige, oder “Junkies” wie der Volksmund so abwertend sagt, gesehen hat, weiß, was Menschen alles (nicht) tun, um an Nachschub zu gelangen, anstatt dem Kreislauf zu entrinnen. Substanz-Sklav*innen wäre wohl ein passender Begriff. Prostitution, Diebstahl, Lügen und Betrügen sind nur einige Beispiele hierfür. Versklavt trifft es also ganz gut, zumal wir auf einmal zu Dingen in der Lage sind, die wir nüchtern betrachtet, wohl eher moralisch verwerflich finden. “Junkie” bedeutet übrigens so viel wie “menschlicher Müll” – ekelhaft. Welcher unempathische Idiot hat sich das bitte schön ausgedacht? Müll ist höchstens dein Menschenbild.

Was ich eigentlich damit sagen will: Es wird Zeit unser Bild von Sucht zu überdenken und weniger mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die sich bzw. ihr Glück/Gelingen von Substanzen abhängig machen. Vielleicht einfach mal innehalten und reflektieren, wie viele Dynamiken/Mechanismen/Strategien und Substanzen einem selbst täglich/wöchentlich - wie auch immer - dabei helfen klarzukommen oder aber “besser zu sein”.

Besser zu sein... Selbstoptimierung, noch so ein Problem - sorry „Herausforderung“! Hier liegt übrigens oftmals der Kern vieler psychischer Probleme und Suchtkrankheiten: das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit.