Erkennst du dein Spiegelbild im Rausch des Nebels?
Rausch: durch Genuss von zu viel Alkohol, von Drogen o. Ä. hervorgerufener Zustand, in dem eine mehr oder weniger starke Verwirrung der Gedanken und Gefühle eintritt; oder aber übersteigerter ekstatischer Zustand; Glücksgefühl, das jemanden über seine normale Gefühlslage hinaushebt.
laut Google
Eben nicht normal, nicht alltäglich. Sollte es zumindest nicht sein. Aber die Sucht nach Rausch kennt jeder. Nicht nur, wenn der Blick in den Kalender einen stresst oder die lang ersehnte Belohnung in Form von Abschalten und Vergessen zelebriert werden soll.
Abschalten und vergessen. Die Aussage impliziert ja erst einmal, dass etwas nicht in Erinnerung bleiben soll. Abschalten suggeriert die Forderung nach offline sein, realitätsfern, nicht anwesend – außer Betrieb. Zusammengefasst ist das die Definition von Flucht, oder nicht?
Aber die Flucht wovor? Vor uns selbst.
Oder zumindest vor der Person, die wir vorgeben im Alltag zu sein. Denn natürlich sind wir auch in Rauschzuständen immer noch wir selbst, nur wesensverändert. Aber dennoch weiterhin dieselbe Person. Im Rausch des Verliebtseins erkennen wir auch immer wieder neue Wesenszüge an uns. Fragt eure Freunde, fragt euer Umfeld. Ein/e Verliebte/r ist alles, aber nicht er/sie selbst. Vielleicht für eine gewisse Zeit die perfektionierte, zufriedenste Form seines/ihres Geisteszustandes.
Beneidenswert. Wieso ekeln wir uns sonst vor verliebten Pärchen, wenn wir selbst gerade Kummer oder generell einfach keine Lust auf eine Beziehung haben? Richtig, Neid.
Verliebtsein ist toll – besser noch: es ist großartig.
Diese ganzen Emotionen, die ständig in uns getriggert werden und die wir in manchen Momenten zu unterdrücken versuchen, oder aber denen wir im nächsten Moment freien Lauf lassen möchten, halten uns lebendig. Aber manchmal braucht man eben eine Pause und will sich nicht ständig mit Dingen auseinandersetzen.
Wieso werten wir gewisse Verhaltensweisen bei anderen stärker und reagieren oftmals sogar gereizt oder aggressiv? Wieso fühlen wir uns persönlich angegriffen oder brauchen erst ein paar Gläser Wein bevor wir soziale Interaktionen überhaupt überstehen können? Aus sich rauskommen scheint eine Kunst geworden zu sein, zumindest nüchtern. Betrunken, bekifft, drauf oder einfach berauscht, kann es letztlich jede/r - irgendwie. Die eine auf eine weiterhin verhältnismäßig charmante, der andere auf eine fragwürdig primitive Weise, die wenig Lust auf mehr macht.
Die Wenigsten finden sich in berauschten Momenten weniger attraktiv. In der nächtlichen Dunkelheit oder wenig beleuchteten, dafür kräftig vernebelten Clubs und Bars sowie alten Gewölbekellern, lassen sich alle Unsicherheiten verstecken. Im Alltag haben wir hingegen oftmals das Gefühl performen zu müssen. Der wortgewandte und stets bemühte Projektmanager steht vielleicht abends gern mal zugedröhnt an der Theke im Club und macht das, was alle machen. Nämlich nicht viel, außer ausschließlich auf die Musik zu hören und nach Lust und Laune zu tanzen – oder eben nicht. Auch egal, auf jeden Fall einfach das, wonach ihm gerade der Sinn steht.
Wenn wir dicht sind, sind wir alle gleich.
Auf einmal ist es nicht mehr so wichtig, wie andere Menschen das eigene Verhalten beurteilen. Man urteilt in dem Moment schließlich selbst nicht: über keinen und niemanden, so wie es sein sollte. Warum auch? Schließlich sind die anderen nur ein Spiegel unserer selbst. Außer unserem eigenen Handeln können wir keines beeinflussen oder kontrollieren.
Jede/r schaut aus seinem eigenen Fenster, jede/r hat seine eigenen Erfahrungen gemacht. Aber Fakt ist: Wenn wir dicht sind, sind wir alle gleich. “Ein Hoch auf die internationale Säufer-Solidarität!”, hat schon Deichkind gesagt. Klingt vielleicht witzig, soll es auch sein.
Wieso können Menschen auf Festivals in Rauschzuständen oftmals friedlich ko-existieren? Zugegeben, es gibt auch Stress – je nach Veranstaltung. Das Münchener Oktoberfest ist ein schlechtes Beispiel, die Fusion hingegen ein Paradebeispiel. Egal, anderes Thema.
Beinah eine ganze Woche geben wir uns mit Alternativen zufrieden und erfreuen uns an den kleinsten Dingen. Und Musik.
Rausch macht gnädig: Wir verzeihen einander – im besten Fall – kleinere Fehltritte und helfen einander aus. Auch treten wir weniger besitzergreifend und intolerant auf. Die Liebe muss schließlich geteilt werden, die Drogen auch. Aber in erster Linie der Moment: Wieso sind Festivals so von Erlebnissen gefüllt, wie es ansonsten gefühlt nur Wochen sein können und wieso zehren wir selbst Monate später noch von diesen freien Stunden; Momenten voller Musik und schönen Begegnungen.
Auf einmal haben wir Zeit zu reden, schauen nicht aufs Smartphone und wollen jede Minute unter Gleichgesinnten und freiem Himmel verbringen. Naturverbundenheit macht sich auf einmal breit und selbst Zelten erscheint auf einmal wie die einzig richtige und unumstrittene Alternative. Beinah eine ganze Woche geben wir uns mit Alternativen zufrieden und erfreuen uns an den kleinsten Dingen. Und natürlich der Musik.
Musik berührt die Sinne. Wir schließen die Augen und schweben durch Zeit und Raum, oder aber, in diesem Fall, eher durch Rausch und Baum. Wenig denken, viel spüren. Viel erleben, noch mehr leben.
Frag dich einmal selbst: Wieso verspürst du gelegentlich den Drang dich zu berauschen? Wieso sehnst du dich manchmal danach, dem Alltag zu entfliehen?