Bilder aus Bautzen

Die Ereignisse vom Wochenende haben wieder mal gezeigt, wie dringend wir den CSD brauchen. Seit nun mehr sechs Jahren setze ich mich als Botschafterin für die queere Community ein und spreche sowie schreibe über die anhaltenden diskriminierenden Strukturen im Patriarchat sowie Homofeindlichkeit. Über die Jahre musste ich viel Hass und Anfeindungen in Form von digitaler Gewalt erfahren. Verwundert über das, was in Bautzen und anderen Städten in Ostdeutschland anlässlich der CSD-Paraden passiert ist, war ich daher nicht. Und trotzdem hat die Intensität der Bilder mich nachhaltig erschüttert.

Der Sommer ist wieder mal sehr heiß und trocken – zumindest in Berlin und Umland. Letztes Wochenende vertrieb ich mir die Zeit auf dem Wasser mit Freunden. Während wir auf dem Boot über die Spree Richtung einem noch badetauglichen See schipperten, marschierten hunderte Rechtsextreme am Hauptbahnhof in Bautzen auf, um die alljährliche CSD-Parade zu stören. Nur unter Polizeischutz konnte die Parade stattfinden und dennoch finden sich Videos von Regenbogenflaggen-Verbrennungen in den sozialen Medien wieder. Das Freie Sachsen und der Dritte Weg hatten im Vorfeld Gegendemonstrationen angekündigt und warteten mit allerhand Nazi-Symbolik und homofeindlichen Sprechgesängen auf. Erschreckend.

Deutschland 2024 und doch wirkt es, als wäre es wieder 1933.

Immerhin waren es dieses Jahr 1000 Teilnehmende, die den CSD in Bautzen begleiteten und unterstützen. In den Jahren zuvor sprach die Polizei gerade mal von 350 Teilnehmenden. Natürlich klingen diese Zahlen, verglichen mit Berlin (800K) oder Köln (1,4 Mio.) lächerlich, dennoch darf nicht vergessen werden, dass ein CSD-Besuch in ostdeutschen Städten wie Bautzen nicht ungefährlich ist. Während die hohen Teilnehmendenzahlen in Köln und Berlin gleichzeitig für viel Schutz unter Gleichgesinnten sorgen, müssen die Menschen in ehemals Ostdeutschland davon ausgehen, dass sie einer nicht gerade geringen Anzahl an wütenden Gegendemonstranten, überzeugten Rechtsextremen und ihren auf Krawall gebürsteten Mitläufern gegenüberstehen. Einschüchternd!

Dass Queerfeindlichkeit ähnlich wie Rassismus niemals ganz aus unserer Gesellschaft verschwunden war, wissen alle, aber nur die Betroffenen sprechen darüber – sie erleben es Tag für Tag, es ist ihr Alltag. Und trotzdem zeigen die Bilder aus Bautzen ein neues Maß an Menschenhass und Verachtung wie es zuletzt nur das Sylt-Video mit seinem offen zur Schau gestellten Rassismus, live und direkt aus der Upper-Klasse, geschafft hat. Wenn ich in den letzten Jahren öffentlich über Queerfeindlichkeit gesprochen habe, schlug mir oft negatives Feedback in Form von Verharmlosung oder Relativierung bei gleichzeitiger Beschimpfung und Sexualisierung entgegen. Ihr Hass bestätigte die Notwendigkeit meiner Arbeit. Laut ihnen dürfen in Deutschland alle Menschen leben und lieben, wen oder wie sie wollen. Niemand interessiert sich für Dinge wie sexuelle Orientierung oder Identität.

Eine sexuell verwirrte Mehrheit, die für die Verfolgung sexueller Minderheiten verantwortlich ist.

Wobei für die sexuelle Identität interessieren sich einige, meistens TERFs, die Genderkategorien ablehnen und in Transmenschen die fleischgewordene Reinkarnation des Teufels sehen, der auf die Erde gekommen ist, um ihre Kinder zu indoktrinieren mit einer völlig verque(e)rten Sexualmoral. Egal, ob Elon Musk, J K Rowling oder Julian Reichelt – sie alle fürchten nichts mehr als sexuelle Vielfalt. Vielleicht, weil die eigene so eintönig, unterdrückt, verwirrend oder unkontrollierbar ist? Wer weiß… am Ende wissen sie es nicht mal selbst. Und das ist das Problem.

Die anstehenden Wahlen im Herbst sind für viele Menschen entscheidend. Entscheidend dafür, ob sie auch in der Zukunft noch frei und ohne Angst vor Diskriminierung oder Gewalt Leben und Lieben können. Alle Menschen, die nicht weiß, hetero, cis, ohne Behinderung sowie muslimischen oder jüdischen Glaubenshintergrund sind, können nicht in Frieden leben, weil Angst haben zu müssen für sie zum Alltag dazugehört. Seit Beginn des Jahres gehen immer mehr Menschen regelmäßig auf die Straße, die Gesellschaft ist gespalten und die Lager scheinen verhärtet und entfremdet, obschon sie am Ende das gleiche Bedürfnis eint: der Wunsch nach einem sicheren und freien Leben, nach Zugehörigkeit.

Ein friedliches Zusammenleben erfordert Kompromisse – auf allen Seiten.

Ich bin ehrlich, ich weiß aktuell nicht, wie man mit Menschen, die sich dem Hass verschrieben haben und mit Hakenkreuz-/Reichsflaggen sowie Nazi-Symbolik auf ihrer Kleidung aufwarten, während sie fröhlich den Hitler-Gruß skandieren, reden soll. Ich weiß es wirklich nicht. Ich sehe aggressive, frustrierte, wütende, gewaltbereite, leere Gesichter, die jegliches Vertrauen in eine vielfältige, tolerante Gesellschaft, verloren haben – ebenso wie in die Institutionen und die (Lügen-)Presse. Wie will man diesen Menschen begegnen? Wie will man friedlich mit ihnen diskutieren und einen Kompromiss finden?

Desinformationen und manipulierte Bilder sowie Videos erschweren den zwischenmenschlichen Zugang, vor allem, wenn die Fronten sich noch weiter verhärten. Die Politik, allen voran die CDU, zeigt, dass die Brandmauer nicht viel mehr als ein gerissenes Absperrband ist. Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist für beinah die Hälfte aller CDU-Abgeordneten denkbar.

Und jetzt? In mir manifestiert sich der Gedanke, dass wir auf eine stabile, antifaschistische Zivilgesellschaft angewiesen sind, um vulnerable Gruppen und Minderheiten zu schützen. Wir dürfen nicht müde werden, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu gehen, anstatt zu Schweigen. Auch wenn mir bewusst ist, dass Schweigen für viele ein Ausdruck ihrer Ratlosigkeit ist. Trotzdem gilt: Aufgeben ist keine Option!