Alles achtsam zerdenken: Mehr Geduld, weniger Gedankenkarussell.

Zuletzt ist mir wieder aufgefallen, wie schwer es ist, schlechte Gefühle zuzulassen und zu leben. Besser gesagt: erleben. Auch wenn ich es eigentlich besser wissen müsste, denn schließlich gehöre ich auch zu denjenigen, die sich bereits mindestens einmal in ihrem Leben auf einen Selbstfindungstrip begeben haben. Mein Weg führte mich damals ins Schweigekloster nach Sri Lanka. Hier lernte ich, wie wichtig es ist, den Geist regelmäßig ruhen zu lassen. Die Dinge einfach vorbeiziehen zu lassen, ohne sie zu werten.

Klingt vielleicht einfach, ist es aber nicht.

Das wissen alle, die eine Meditationsapp auf dem Handy haben und bei den ersten paar Sitzungen daran gescheitert sind, lediglich fünfzehn Minuten still zu sitzen und der geführten Insichkehrung zu lauschen. Auch hierfür bedarf es Routine und Training. Das Gedankenkarussell zu stoppen kann an manchen Tagen einer Meisterleistung gleichen und an anderen wiederum ganz einfach sein.

Natürlich ist es nicht richtig, negative Emotionen zu verdrängen und durch andere Dinge zu kompensieren. Hierfür gibt es jede Menge Strategien: viel Arbeit; viel Sport; viel Rausch; viel unter Menschen sein; immer in Bewegung; hauptsache nicht allein und ungestört, mit den eigenen Gedanken. Achtsamkeitstrainings sind seit geraumer Zeit schwer im Trend und sollen uns dabei helfen, achtsam auf unsere innere Stimme – unser Bauchgefühl – zu hören.

Zugegeben, das ist manchmal nicht ganz so einfach.

Dennoch ist es nachhaltiger, den Gefühlen freien Lauf zu lassen und den Schmerz zu leben. Was für Schmerz? Beispielsweise den, den wir durch Ablehnung erfahren. Sei es, weil wir einen Job nicht bekommen haben, für den wir uns sehr ins Zeug gelegt haben, oder eine zwischenmenschliche Verbindung, die nicht nach den eigenen Erwartungen verläuft, uvm…

Enttäuschungen sind normal, aber jede:r steckt sie anders weg.

Der eine besser, die andere schlechter. Psychische Resilienz ist hier das Stichwort, aber es wäre auch etwas einfach zu sagen, dass wir ein Leben lang gleich auf Enttäuschungen reagieren. Die aktuellen Lebensumstände haben außerdem noch einen großen Einfluss auf die Trauerarbeit, oder besser gesagt: deren Verlauf.

Früher habe ich mir oft vorgestellt, wie leicht das Leben erst sein wird, wenn ich mein Ego gebrochen und emotionale Altlasten abgelegt habe.

  • Wenn ich nach tagelangem Schweigen und Meditieren endlich weiß, was mich wirklich bewegt und mein „Urtrauma“ ist.

  • Wenn ich alles gelesen habe, was mit alternativen Beziehungskonzepten, Selbstliebe und frei sein zu tun hat.

  • Wenn ich mich in der Rolle der Affäre, Partnerin, besten Freundin, Bisexuellen, Selbstständigen, selbstbestimmten Frau wiedergefunden habe und daher befähigt bin, mehrere Perspektiven einzunehmen, in dem Wissen, sie bereits durchlebt zu haben.

Wie ein Computerspiel: von Level zu Level.

Schön wäre es. Jedoch erlebe auch ich mich regelmäßig mit Gefühlen konfrontiert, die mich gleichsam überfordern und alles auf einmal sinnfrei und haltlos erscheinen lassen.

Was ich in den Momenten mache? Im Gegensatz zu früher: erst einmal hinsetzen (oder hinstellen) und atmen. Langsam und bewusst. Dann versuche ich mich auf den Punkt zu konzentrieren, an dem alles ausgestanden sein wird, um die mich überkommenden Emotionen abzuschwächen.

So weit, so gut. Aber manchmal hat eben auch die Intensität solcher Gefühle einen Sinn. Sie zeigen uns nämlich auf drastische, manchmal auch dramatische, Weise, dass wir scheinbar seit geraumer Zeit etwas unterdrücken, was sich nun mit voller Wucht seinen Weg zu bahnen scheint.

„Gefühle wollen gelebt werden. Wenn wir sie unterdrücken, werden sie nur schlimmer.“

Diesen weisen Satz hat zuletzt eine gute Freundin zu mir gesagt, nachdem ich ihr von einer Trennung erzählte, die ich kurz zuvor erlebte und recht gut analysiert und – meiner Meinung nach – gefühlstechnisch bereits ad acta gelegt hatte.

Dass dem nicht so war, erkannte meine gute Freundin scheinbar direkt. Und da sie eine gute Freundin ist und mich demnach echt gut kennt, hat sie mir einfach nur diesen Satz mit auf den Weg gegeben, ohne meine zumindest gefühlt glasklare Rationalität in dem Moment in Frage zu stellen.

Ihr war bewusst, dass es mehr Maske als ehrliches Empfinden meinerseits war. Ihr war ebenfalls bewusst, dass ich das in solchen Momenten gar nicht hören mag.

Eine Woche noch lief ich rum in der Überzeugung, wenig Nachwirkungen der Trennung zu spüren. Schließlich war die gemeinsame Zeit auch viel zu kurz, als dass Mensch jetzt lange traurig zu Hause rumhocken müsste. Ätsch! Falsch gedacht. Die Nächte offenbaren alles, vor allem die Schlaflosen.

Also zwang mein Körper mich dazu, nachts wieder einmal wachzuliegen und mir darüber klar zu werden, was genau mir aktuell den Schlaf raubt. Danke Unterbewusstsein – auf dich ist Verlass. Wäre nur cool, wenn du dir etwas humanere Zeiten für diese Kopffickerei aussuchen würdest. Nachmittags ist mir zum Beispiel des Öfteren langweilig, wie wäre es mal damit?

Gedankenspiralen haben eine hemmende Wirkung und verraten mehr über unsere tiefsitzenden (Verlust-)Ängste und Selbstzweifel.

Zurück zum Thema: Was ich eigentlich damit sagen will, ist, dass zu viel Denken und Analysieren eben auch nicht die Lösung ist. DIE eine Lösung gibt es sowieso meistens nicht, genau so wenig wie den oder die EINE. Daher reicht es manchmal, den Schmerz zu fühlen, zu erleben und wenn nötig, alles andere für einen Moment stehen und liegen zu lassen. Niemand erwartet, dass du bereits am nächsten oder übernächsten Tag wieder freudestrahlend für alles und jeden verfügbar bist.

Früher dachte ich, ich sei besonders reflektiert, nur weil ich meinen emotionalen struggle schneller als andere erklärt und bewertet hatte. Was für ein Irrsinn. Allein die Tatsache, dass ich meinen struggle zu bewerten müssen glaubte, zeigt doch, wie wenig ich mich damit wirklich auseinandersetzen, ihn wirklich fühlen, wollte.

Offenheit und Bereitschaft sind der Schlüssel zum authentischen (Liebes-)Glück.

Die Antwort auf die Frage, ob ich eigentlich noch unter Selbstzweifeln oder Unsicherheiten leide, die mir phasenweise mein Leben schwerer machen als es eigentlich ist – oder sein sollte – lautet also: JA! Manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass es in gewissen Momenten mehr als früher noch der Fall ist. Ein hohes Maß an (Selbst-)Reflektion bringt auch einen höheren moralischen Anspruch und gewisse Prinzipien mit sich.

Außerdem ist es einfach zu glauben, dass wir von negativen Gefühlen wie Eifersucht geheilt sind, nur weil wir sie einmal durchlebt oder temporär „offen“ gelebt haben. Beziehungen sind so verschieden wie zwischenmenschliche Dynamiken eben auch. Während die eine dich in Sicherheit wiegt, kann der andere dich in den Wahnsinn treiben.

Atmen, aushalten, wenn nötig analysieren.

Eins habe ich in den letzten Jahren und jeder Menge (neuer) Erfahrungen jedenfalls gelernt: Das Wissen, dass alles gut wird und wir eigentlich nicht viel zu verlieren haben, tragen die meisten von uns in sich. Die Gewissheit, dass es uns allen von Zeit zu Zeit ähnlich beschissen geht und wir am Ende wegen den gleichen Themen strugglen, scheint vielen noch zu fehlen.

Am Ende sind unsere Sorgen weder besonders individuell noch unlösbar. Daher reicht es in vielen Situationen wirklich, einfach nur zu atmen und zu warten, bis der Gefühlstsunami vorbei ist.