Nadine Primo

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Seelenheil im Sonderangebot: Gefahrenpotenzial Instagram-Coaches

Zuletzt ist mir auf Social Media, insbesondere auf Instagram, aufgefallen, dass es für jedes Problem, für jede Herausforderung, einen Coach gibt. Egal, ob Business-, Lifestyle-, Fitness-, Achtsamkeits- oder Mental Health- Branche… für jedes Segment das passende Vorbild; ein rettender Guru oder eine charismatische Führungsfigur, der*die inneren Frieden bei gleichzeitig mehr Leistung und persönlichem Entwicklungspotenzial verspricht. Da ich selbst verschiedene Therapieverfahren in den letzten dreizehn Jahren in Anspruch genommen habe, beobachte ich diese Angebote mit einem kritischen Blick.

Heilpraktiker:innen, die damit werben, Trigger und Traumata zu erkennen und innerhalb weniger Wochen zu heilen. Das Einzige, was ich daraus las, ist, dass hier jemand wagemutige Heilsversprechen macht, die lediglich eine Relativierung psychischer Ausnahmenzustände, die existenziell-bedrohlich sein können, mit sich bringt. Auffällig ist auch, wie normal diese Art Begriffe bereits in unserem (medialen) Alltag sind und zudem ein weiterer Beweis dafür, dass mehr Sichtbarkeit zwangsläufig auch Relativierung zur Folge hat. Auf einmal sind viele Expartner*innen Narzisst*innen, obgleich der Tatsache, dass in Deutschland gerade mal schätzungsweise 0,4%[1] der Menschen mit diesem Krankheitsbild diagnostiziert sind.

Wer sich angegriffen fühlt, ist „getriggert“ und wer sich nicht auf eine neue Beziehung einlassen kann – oder will – ist emotional traumatisiert. Hmm, versteht mich nicht falsch, ich will diesen Menschen gar nicht ihr Leid absprechen, aber ich frage mich dennoch, wem wohl damit geholfen ist, wenn er:sie mit dieser Art (Selbst-)Diagnosen um sich schmeißt. Ihnen selbst? Fraglich… auch wenn sie im ersten Moment eine Lösung für ihr Problem, ihre aktuelle Herausforderung, gefunden haben, bedeutet das nicht zwangsläufig Heilung. Im Gegenteil, oftmals habe ich eher das Gefühl, es wird als Ausrede für den aktuell labilen Gemütszustand genutzt, oder soll die scheinbar bis dato unreflektierte Konfliktscheue legitimieren.

Jedoch ist mir bewusst, dass die steigende Nachfrage nach Therapieangeboten, bei gleichzeitigem Therapieplatzmangel, den Ruf nach Alternativen laut werden lässt. Wenn ich beispielsweise einen akuten Leidensdruck verspüre, der mit Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit einhergeht, im Therapiezentrum jedoch nur mit Wartelisten-Plätzen vertröstet werde, aber die finanziellen Mittel habe, um andere Angebote in Anspruch zu nehmen, dann wirken die Heilversprechen auf Instagram wie etwas Greifbares und dank passender Bebilderung mit freudestrahlenden Gesichtern und lebendigen, erfolgreichen Körpern auf pastellfarbenem Hintergrund, wie ein erstrebenswertes Ziel.

Wenn ich daran denke, wie es mir damals ergangen ist, als 2016 eine posttraumatische Belastungsstörungen in Folge von häuslicher Gewalt und insgesamt drei Suizidversuchen, die ich unfreiwillig als Ersthelferin erleben musste, bei mir diagnostiziert wurde, kann ich beim Durchlesen der vier-/sechswöchigen Coaching-Programme nur verächtlich schnauben. Ich bin mir nicht sicher, ob die abendlichen Affirmationen wirklich gegen meine Schlaflosigkeit oder Alpträume, aus denen ich nassgeschwitzt aufwachte, geholfen hätten. Auch die Momente im Supermarkt, als das Piepsen der Kasse mir Atemnot und Herzrasen bescherte, sodass ich alles auf dem Band liegen lassen und fluchtartig den Markt verlassen musste, hätte ich schlecht wegmeditieren können. Und auch Aufgaben wie „die Gefühle als Energietaler betrachten, über die Mensch jeden Tag aufs Neue frei verfügt“, hätten die Dämonen, die mich damals tagtäglich heimsuchten und meine Gefühlswelt unberechenbar, aber vor allem unkontrollierbar machten, wenig interessiert – geschweige denn zum Schweigen gebracht.

Auch, wenn aus medizinischer Sicht klar zu sein scheint, dass Coaching-Sessions mit wagemutigen Heilversprechen gefährlich sind, unter anderem deswegen, weil sich Menschen an Coaches wenden, die verzweifelt sind und demnach besonders empfänglich, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eben diese Coaches in vielen Fällen besonders erfolgreich sind. Stefanie Stahls Bestseller „Das Kind in dir muss Heimat finden“ ist seit Jahren in den Bestsellerlisten und auch Laura Malina Seiler erfreut sich einer folgsamen Follower:innenschaft. Ihre Live-Auftritte zeigen, wie viele Menschen bereit sind, ihr zu folgen – und ihr Seelenheil in Laura Malina Seilers Hände zu legen. Für mich hat das vor allem den negativen Beigeschmack, dass hier Bereicherung auf Kosten verlorener Seelen stattfindet. Daher habe ich auf Instagram eine Umfrage gemacht und meine Follower:innen gefragt, was genau sie an Coaching-Programmen oder Healing-Sessions reizt.

Die Ergebnisse waren recht eindeutig, zumal für die meisten der Faktor Zeit eine zentrale Rolle spielt. Zeit, die der Mensch ihnen entgegenbringt. Zeit, in der sie sich gesehen und gehört fühlen – mit all ihren Bedürfnissen. Denn darum geht es in den Coaching-Sessions vorrangig: die eigene Gefühlslage zu analysieren und verdrängte oder unterdrückte Bedürfnisse aufzudecken. Es stimmt schon, ein Großteil unseres Alltagsstresses ist psychosomatisch bedingt und dem Leistungsdruck, ständigem Vergleichen, der Schnelllebigkeit und Reizüberflutung geschuldet. Ich kann mir vorstellen, wie gut es sich anfühlen muss, sich im Gefühlschaos verstanden und gehört zu fühlen.

Charlotte Raven schreibt in ihrem Buch „Nicht noch ein Coaching Buch!“ von einem kreierten Mangel, der die Grundlage vieler Coaching-Programme ist und dazu dient, die Klient*innen bei der Stange oder besser gesagt in Kauflaune zu halten. Für jedes Problem der passende Kurs, denn persönliches Wachstum kostet. Dass es sich hierbei nicht selten um manipulative Marketingtricks handelt, zeigen eine wachsende Anzahl an negativen Erfahrungen, von denen Aussteiger*innen aus der Achtsamkeitsszene berichten. Überidealisierte Gurus, die sich für ihre selbst auferlegte Unfehlbarkeit feiern, aber vor allem sehr gut bezahlen lassen; Teilnehmende, die während Gruppen-Sessions zusammenbrechen und mit ihrem Gefühlschaos allein gelassen werden; oder Klient*innen, die nach negativem Feedback zum erworbenen Kurs öffentlich auf dem Instagram-Kanal des Achtsamkeits-Coaches in deren Story bloßgestellt werden. Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, wie gefährlich diese Szene mitunter sein kann.


[1] https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/neurologie/ratgeber-archiv/artikel/narzisstische-persoenlichkeitsstoerung-oft-kombiniert-mit-weiteren-stoerungsbildern/#:~:text=Narzisstische%20Pers%C3%B6nlichkeitsst%C3%B6rungen%20treten%20bei%20bis,%2Dim%2Dnetz.org