Nadine Primo

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Corona-Goals: Isolation macht ehrlich

Mittlerweile sitzen wir seit ca. 13 Monaten im Lockdown. Mal mehr, mal weniger restriktiv. Lockdown, oder die etwas radikalere Version: Shutdown. Seit November können wir weder in Restaurants, Bars, zum Sport oder ohne besondere Auflagen (Tests etc.) shoppen gehen oder zur Kosmetikerin, geschweige denn zum Frisör. Immerhin gibt es aktuell keine Klopapier-Krise wie im letzten Frühjahr, als der erste Shutdown am 14. März Europa lahmlegte.

Die Bevölkerung eines jeden Landes hatte seine eigenen Notreserven gehamstert und zugegeben: wir Deutschen kamen dabei nicht wirklich gut weg. Eher sterbenslangweilig. Klopapier und Pasta – really? Die Franzosen hingegen lagerten Rotwein und Kondome – fantastisch! Das hört sich wenigstens nach Spaß an. Klopapier und Pasta klingt höchstens nach Völlegefühl und Durchfall – eher weniger sexy. Sexy soll der Lockdown ja auch nicht sein, versteht mich nicht falsch, aber ein wenig Spaß sollte er doch wenigstens machen, wenn schon die Alternativen fehlen.

In den letzten 13 Monaten habe ich, gefühlt, Berlin und Köln abgelaufen. Jeder Wald, jeder Pfad, jedes Veedel, jeden Kiez – einfach immer weiter gelatscht. Ich sage bewusst gelatscht, denn oftmals gab es weder Ziel noch wirklich einen Weg. Es fühlte sich eher wie ein Wettlauf an, ein Wettlauf mit der Zeit. Aber umgekehrt: denn hierbei ging es darum die Zeit rumzukriegen. Irgendwie die Tage abwechslungsreich zu gestalten, gerade im Herbst und besonders im Winter.

Im Sommer fiel der Lockdown nicht allzu schwer: Sonne, Hitze, gute Laune. Besuch aus der Heimat, Besuch in der Heimat. Ferien in der Bundesrepublik, es geht wirklich schlimmer. Auch die Sportstudios öffneten wieder ihre Pforten. Endlich wieder bewegen, mit dem ganzen Körper, nicht lediglich einen Fuß vor den anderen setzen. Unbeschwerte Club- oder Barbesuche blieben uns die gesamte Zeit über verwehrt. Die großen Clubs öffneten ihre Außenbereiche und hangelten sich mit verschiedenen Hygiene-Konzepten und limitierten Vorverkaufskarten durch die warmen Monate. Besser als nichts. Immerhin etwas! In der einen Stadt mehr, in der anderen eher weniger.

Aber neben dieser überschaubaren Anzahl an möglichen Aktivitäten gab es Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Leben. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, in dem ich ALLE meine Freunde auf einem Haufen gesehen habe. Das fehlt mir sehr – unglaublich, um genauer zu sein. Spontane Happenings, die mit 2-3 Bekannten begannen und sich im Laufe des Abends zu nicht vorhersehbaren Parties entwickelten, gab es einfach nicht. Auch keine öffentlichen Open Airs oder Festivals. Alles blieb aus, auch der Urlaub. Denn wirklich Reisen war die ganze Zeit nicht drin, höchstens mit Auflagen und der Gefahr im Ausland noch mehr Restriktionen anzutreffen. Eins muss man sagen: wir Deutschen waren, untypischerweise, echt locker im Umgang mit Corona. Dafür kriegen wir jetzt die Quittung.

Warten, warten, warten.

Oder besser gesagt: abfinden, aushalten, arrangieren. Alles Jammern auf hohem Niveau, I know. Dennoch berechtigte Gedanken. Gerade wenn Mensch (Reise-)Freiheit, Unabhängigkeit und Abwechslung gewohnt ist. Ein Umdenken findet statt: erst oberflächlich, dann tiefgründig. Aus anfänglicher Rebellion wurde irgendwann Resignation. Ziemlich genau im November. Denn ein Lockdown im Winter klingt zwar leichter zu ertragen, weil niemand gern im Regen steht (haha Wortwitz), aber Alternativlosigkeit wirkt an grauen, nassen, kalten Tagen besonders bedrückend.

Anfangs malte ich mir die Finger wund, las so viel Bücher, dass meine Augen eckig wurden, und joggte mir jeden Morgen die Lunge aus der Brust und setzte mich danach auf die Yoga Matte. Immer in Bewegung bleiben, geistig und körperlich, das war das Ziel. Aufträge hatte ich erst einmal keine mehr und ein Umfeld sowieso nicht, zumal ich gerade erst nach Berlin gekommen war. Und dann kam Corona: hipp hipp hurra! So sehr wie ich mir früher, vor Corona (wie das klingt^^), meine Ruhe wünschte, umso mehr sehnte ich mich jetzt nach menschlicher Interaktion. An manchen Tagen kam ich mir vor wie im Schweigekloster. Nicht mal ein Anruf, niemanden gesehen, am Abend erschreckte ich mich vor meiner eigenen Stimme.

Einsamkeit befreit. Klingt vielleicht paradox, ist aber so.

Irgendwann hatte ich dann keine Lust mehr zu reden und fing an, die Einsamkeit zu genießen. Auf einmal wirkte alles entschleunigt, oder ich bewegte mich einfach nur in Zeitlupe, keine Ahnung. Tatsache war aber, dass ich mit wenig Aufgaben die Tage herumbrachte und mich immer wohler in meiner eigenen Bubble fühlte. Dank Soforthilfe (Danke NRW) musste ich mir existenziell auch erstmal keine Sorgen machen und sammelte Energie, die mir zuvor durch Doppelbelastung im Job flöten gegangen war. Selten so viel geschlafen, war schon nice – stimmt schon!

Mittlerweile sind 13 Monate vergangen und die ersten Dinge, wie z.B. Parties sind zwei Jahre und nicht mehr bloß ein Jahr her. Das macht viel mit dem Denken, zumindest mit meinem. Alles wirkt dadurch alltäglicher, der pandemische Ausnahmezustand im Gehirn manifestiert: angekommen. Das sollte er doch eigentlich nicht, es sollte eine Ausnahme bleiben und nun fühlt es sich so an, als müssten wir mit der Ausnahme leben lernen. Und mit der Maske. Manchmal nervig, generell nützlich. Mal ehrlich: Wie oft wart ihr in den vergangenen 13 Monaten krank? Richtig, ich auch nicht. Kein, vielleicht ein einziges Mal.

Aber dazu muss ich zu meiner Schande gestehen: ich würde eine wilde Clubnacht oder regelmäßige Besuche im Fitness-/Yoga-/Was-auch-immer-Studio sofort gegen eine fette Erkältung eintauschen. Irgendwie fehlen sie mir, die fremden Viren. Menschen, ich will einfach nur mal wieder Menschen auf einem Haufen, glücklich, verschwitzt und grinsend sehen. Sie riechen und fühlen, nicht unbedingt schmecken. Wobei: den einen oder die andere mit Sicherheit schon.

Intimität hat eine neue Ebene für mich erreicht.

Mensch merkt ja auch erst was ihm fehlt, wenn er es nicht mehr hat. Einfache Berührungen wie eine Umarmung, gehören dazu. Früher selbstverständlich, heute eben nicht mehr. Selbst das sozial eh schon distanziert wirkende typisch deutsche Händeschütteln ist zur Seltenheit geworden und Mensch belässt es bei einem Nicken, Winken oder Ellbogen-Check. (Wer auch immer das etabliert hat. Erst in die Armbeuge husten und dann schön dem Nächsten in die Elle schmieren – grandios.)

Wie dem auch sei: Isolation macht ehrlich. Die Ausgangsthese dieses Texts. Wie ist das gemeint? Ganz einfach: Obwohl ich mich teilweise isoliert wie nie, antriebslos wie selten und traurig vor Einsamkeit wie noch nie in meinem Leben empfand, habe ich zugleich eine starke Bindung zu meinen Freunden in der Heimat und recht schnell zu einigen Bekannten hier in Berlin aufgebaut. Auch die Beziehung zu meiner Familie hat sich seitdem deutlich verbessert, aber in erster Linie: entspannt. Zeit für sich zu haben bedeutet eben auch oftmals sich besinnen zu können. Auf das, was einem wichtig ist, auf das, was war und das, was wirklich ist. Wenig Ablenkung, wenig Alternativen. Also einfach mal mit dem Gegebenen zufrieden sein. Dankbar. Ja, Dankbarkeit ist wohl das Wort der Stunde – oder der Pandemie.

Selten hatte ich das Gefühl mit meinem Umfeld so ehrlich über mich und meine Emotionen, mein (Nicht-)Handeln und (komplexe) Gefühlslage reden zu können. Na ja, viel anderes hat Mensch sich ja derzeit auch nicht zu erzählen. Außer über das Wetter und das ist nun wirklich schnell abgehandelt, in den meisten Fällen. Wir sitzen doch (fast) alle im selben Boot. Die eine mehr, der andere weniger privilegiert. Dennoch teilen wir gerade die gleichen Sehnsüchte: nach Freiheit, Unabhängigkeit, Abwechslung, Intimität, sozialer Interaktionen und Erlebnissen, die über die Haustürschwelle hinausgehen. Das verbindet.

Dating ist zum Spießroutenlauf geworden.

Zumindest kam es mir nach einer Weile so vor. Ein Spießroutenlauf durch unerfüllte Bedürfnisse und pandemiebedingtes Leid. Nicht selten habe ich mich als Sandsack für die Frustrationen meines Gegenübers empfunden und ich will auch nicht abstreiten, dass ich das nicht auch das ein oder andere Mal so gehandhabt habe. Isolation macht eben nicht nur ehrlich, sondern auch komisch. Redet ihr mittlerweile auch mehr mit euch selbst? Egal, Mensch lernt dabei viel über sich. Über sich und über andere. Entschleunigung auf allen Ebene, Abwechslung auf so gut wie keiner. Wobei, das stimmt auch nicht so ganz. Wenn ich das Spektrum an Emotionen überblicke, die mich in den letzten 13 Monaten heimgesucht haben, dann war gefühlt wirklich alles dabei. Anstrengend oder befreiend, je nach Gemütszustand. Ich habe gelernt, die Dinge einfach mal gut sein zu lassen und mehr bei mir zu bleiben. Weniger im Außen zu suchen und mich allein in der Verantwortung für die Befriedigung meiner Bedürfnisse zu sehen.

Das alles schreibe ich aus der Perspektive eines Solo-Selbstständigen Singles in der Großstadt. Mir ist bewusst, dass es bei weitem nicht jede/r so geht. Und das ist okay. Menschen sind verschieden, Bedürfnisse und Konstellationen eben auch. Nichtsdestotrotz würde ich mich abschließend betrachtet als weitaus gnädiger, besser gesagt: toleranter, bezeichnen. Mir selbst und anderen gegenüber. Es ist nun mal eine Ausnahmesituation, die einer Extremsituation gleichkommt. Niemand handelt gerade so, wie er es wohl vor 2-3 Jahren noch getan hätte. Ist das nicht auch irgendwie spannend?  

In Zeiten der Krise entwickeln wir neue Strategien.

Wofür die Strategien am Ende noch nützlich sein werden, weiß keine/r genau. Wenn man uns vor 1,5 Jahren das Szenario einer weltweiten Pandemie vorhergesagt hätte, hätte die meisten von uns wohl nur müde gelacht. Das Lachen ist einigen bereits, oder sogar recht schnell, vergangen. Wenn ich so zurückblicke, überwiegen dennoch die schönen Momente. Ehrliche Momente mit Freunden, witzige neue Bekanntschaften – nicht alle Matches endeten im Frustabtausch – und der Erkenntnis, dass es in Deutschland auch jede Menge coole Spots zum Verweilen gibt. Letztlich hatte ich das Glück, den Lockdown in einer neuen Stadt zu verbringen, denn so konnte ich jede Menge neu entdecken und mich in einigen Momenten daher mehr als gut von der zeitweiligen Einsamkeit ablenken.

Die Welt steht still und ist dennoch in Bewegung wie selten zuvor. Das war mein erster Gedanke, als sich damals der erste Shutdown abzeichnete. Über ein Jahr später würde ich diesen Satz weiterhin unterschreiben und für wahrhaftig erklären. Allen von uns wurde ein überaus großes Maß an Flexibilität abverlangt.

Flexibilität bringt meistens auch Wachstum mit sich. Und Wachstum ist doch in erster Linie etwas Gutes, oder etwa nicht? Chancen wurden uns genommen, aber auch gegeben. So schnell wird uns wohl nichts mehr aus der Bahn werfen, wenn das hier alles überstanden ist. Im Gegenteil: Wir werden die Dinge wohl erst wieder wirklich zu schätzen wissen.

Es ist alles eine Frage der Perspektive – wie immer im Leben.